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Gastartikel, Erfahrungsbericht

Verhaltenstherapie für Jungen: Eine kritische Betrachtung

geschätzte Lesezeit: 5 Minuten bearbeitet am: 30.10.24

Verhaltenstherapie für Jungen: Eine Überlegung

Die Frage, die mich beschäftigt hat, lautet: „Sollen wir unseren Jungen zusätzlich noch zu einer Verhaltenstherapie schicken?“ Diese Überlegung möchte ich mit dir teilen und am Ende deine Meinung dazu hören. Ich bin gespannt auf deine Antwort, die du gerne in den Kommentaren hinterlassen kannst.

Einleitung

In meiner praktischen Arbeit habe ich festgestellt, dass das Thema Verhaltenstherapie häufig mit Jungen in Verbindung gebracht wird. Dies soll nicht bedeuten, dass Mädchen davon nicht betroffen sind, sondern vielmehr, dass ich in meiner Erfahrung häufig das Gefühl habe, es trifft Jungs eher. Gerald Hüther, ein renommierter Hirnforscher, erwähnt, dass Jungs oft als das konstitutionell schwächere Geschlecht angesehen werden. Aber wie auch immer, ich kann nur von dem berichten, was ich bisher erlebt habe.

Die ersten Erfahrungen eines Kindes

Bereits im Mutterleib beginnt das Kind, Erfahrungen zu sammeln. Es hat ein Gehirn und nimmt seine Umgebung wahr, auch wenn es sich nicht bewegen kann. Zu den ersten Wahrnehmungen gehören der Herzschlag der Mutter oder die Melodien einer Spieluhr. Diese frühen Erfahrungen prägen das Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit, die für die weitere Entwicklung entscheidend sind.

Wachsen im Mutterleib

Im Mutterleib wächst das Kind, versorgt über die Plazenta. Es macht Erfahrungen, die es dazu bringen, sich zu bewegen und die Welt um sich herum wahrzunehmen. Das ungeborene Kind ist in der Lage, neuronale Verknüpfungen zu bilden, die es ihm später ermöglichen, feinmotorische Fähigkeiten zu entwickeln. Es lernt, seinen Daumen in den Mund zu führen und die Befriedigung des Saugens zu erfahren.

Geburt und die neuen Herausforderungen

Nach der Geburt steht das Kind vor einer gewaltigen Umstellung. Die Geborgenheit des Mutterleibs ist verschwunden, und die Welt ist kalt und hell. Doch die Nähe zur Mutter, ihr Herzschlag und das Saugen an der Brust helfen dem Kind, sich in dieser neuen Umgebung zurechtzufinden. Es wächst und entwickelt sich weiter, indem es seine Umwelt erforscht und die eigenen Fähigkeiten testet.

Die Rolle der Erziehung

Erziehung spielt eine entscheidende Rolle in der Entwicklung eines Kindes. Oftmals wird dabei jedoch versäumt, die individuellen Bedürfnisse des Kindes zu berücksichtigen. Stattdessen treffen Kinder auf Erwartungen, die sie nicht erfüllen können, und müssen sich anpassen, um in das vorgegebene Raster zu passen.

Die Herausforderung in der Schule

In der Schule wird es besonders deutlich. Kinder müssen Fähigkeiten erlernen, die sie möglicherweise noch nicht haben. Dies betrifft häufig die Feinmotorik, wie beispielsweise die Stifthaltung. Kinder haben oft nicht die Gelegenheit, zu sehen, wie ihre Eltern einen Stift halten, weil viele heutzutage überwiegend Tastaturen nutzen.

Wenn ein Kind in der Schule Schwierigkeiten hat, sich zu konzentrieren, wird schnell der Schluss gezogen, dass es Unterstützung benötigt. Statt das Lernen an die Interessen des Kindes anzupassen, liegt der Fokus darauf, das Verhalten des Kindes zu ändern. Oft wird von den Eltern verlangt, Maßnahmen zu ergreifen, um das Kind „in die Spur zu bringen“.

Unterschiede bei den Kindern

Jedes Kind bringt seine eigenen Herausforderungen mit. Während ein Kind möglicherweise Schwierigkeiten hat, still zu sitzen, hat ein anderes Kind möglicherweise emotionale Probleme aufgrund familiärer Umstände, wie etwa eine Scheidung. Diese Erfahrungen prägen die Entwicklung und die Fähigkeit, sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden.

Die Therapie

In der Therapie begegnen mir oft Kinder, die mit Stress und innerer Unruhe kämpfen. Viele versuchen, sich auf die Übungen einzulassen, können jedoch innerlich nicht loslassen. Die Reaktion der Erwachsenen besteht häufig darin, eine Diagnose zu stellen und Unterstützung in Form von Therapien oder Medikamenten anzubieten.

Die Folgen der Etikettierung

Wenn ein Kind die Diagnose einer „Störung“ erhält, führt dies oft zu einem negativen Selbstbild. Es fühlt sich als unzulängliche Blume, die nicht blüht. Anstatt ermutigt zu werden, lernt es, dass es nicht in die Welt passt. Die Therapie sollte dem Kind jedoch helfen, seine Stärken zu erkennen und Vertrauen in seine Fähigkeiten aufzubauen.

Positive Erfahrungen durch kreative Therapien

Die Freude an der Therapie kann Kinder motivieren und ihnen helfen, über sich hinauszuwachsen. In einer kreativen Umgebung lernen sie, dass Herausforderungen überwindbar sind. Hier können sie ihre Interessen erkunden und Erfolge feiern, was ihr Selbstbewusstsein stärkt.

Der Einfluss auf die Schule

Diese positiven Erfahrungen können sich auch auf die schulische Leistung auswirken. Kinder, die in der Therapie Erfolge erleben, entwickeln ein Gefühl der Zugehörigkeit und sind besser in der Lage, mit Schwierigkeiten umzugehen.

Fazit

Der Nutzen einer Verhaltenstherapie ist also nicht eindeutig, sondern hängt stark von der individuellen Situation des Kindes ab. Es ist wichtig, die Stärken und Bedürfnisse jedes einzelnen Kindes zu berücksichtigen und es nicht in ein vorgefertigtes Schema zu pressen.

Letzte Gedanken

Bevor ich dich frage, ob wir unseren Jungen zu einer Verhaltenstherapie schicken sollten, möchte ich eine Metapher teilen: Nur weil Pinguine keine guten Flieger sind, schicken andere Vögel sie nicht gegen ihren Willen zur Therapie. Das bringt uns zurück zur ursprünglichen Frage: „Sollen wir unseren Jungen zusätzlich noch zu einer Verhaltenstherapie schicken?“

Ich freue mich auf deine Meinung in den Kommentaren.


Bildquelle:

Das Titelbild des Artikels kommt von pixabay.com.

Das Bild im Artikel von dem Holzauto kommt von unsplash.com.

Das Bild im Artikel von dem Klassenzimmer kommt von unsplash.com.

Das Bild im Artikel von dem malenden Kind kommt von unsplash.com.

Das Bild im Artikel von dem Kind auf dem Laufrad kommt von unsplash.com.

Kommentare zu diesem Artikel

Maria Meyer vor 3 Jahren
Vielen Dank für den tollen Beitrag. Gut zu wissen, dass die Kinder im Wartezimmer schon voller Vorfreude sind, da ihnen die Ergo Spaß macht. Interessant, dass sie hier Dinge frei aus ihrer Vorstellung heraus bauen und Dinge erlernen, die sie schon immer machen wollten. Ich habe auch schon lange darüber nachgedacht, ob mein Kind von Ergotherapie profitieren könnte. Nun würde ich es gerne einmal ausprobieren und mir einen Eindruck verschaffen. Deswegen suche ich gerade nach einer Praxis für Ergotherapie für Kinder in Regensburg.
Lisa vor 5 Jahren
Hallo Natalie Vielen lieben Dank für diesen wundervollen Artikel! Ich bin Erzieherin (gerade in Elternzeit) Leider haben viele Kinder schon bevor sie überhaupt in die Schule kommen auf ganzer Linie versagt. Der Ruf eilt der Schule schon soweit voraus, dass die Schule kaum die Möglichkeit hat kindgerechter zu werden. Wir versuchen ständig kleine Menschen zu kreieren, die unserer Vorstellung von Schule gerecht werden. Leider klappt das noch viel zu oft. Sonst hätte sich schon längst viel mehr geändert. Hoffentlich lesen viele Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen diesen Artikel und fühlen sich ermutigt etwas zu ändern oder auch bestätigt in dem was sie tun. (wenn sie bereits erkannt haben, dass die Kinder selbst am besten wissen was gut für sie ist) Glücklicher Weise bewegt sich schon einiges, aber einfach noch viel zu wenig. Eine Entwicklung, die mich sehr ärgert ist die, dass "kindgerechte" Reformschulen (z.B. Montessori) meist teure Privatschulen sind. Und da spricht man von Chancengleichheit? Ich finde man sollte lieber für Veränderungen in staatlichen Schulen kämpfen und keine Elite schaffen, die scheinbare Sonderlinge hervorbringt. LG Lisa
Natalie Clauss vor 5 Jahren
Liebe Lisa, vielen Dank für deinen lieben Kommentar. Ich gebe das gerne an meinen Mann weiter, dieser Artikel ist nämlich von ihm. Auch ich teile diese Meinung. Ich sehe es genau wie du, dass sich in erster Linie an den staatlichen Schulen etwas ändern muss. Es bringt nichts, nur elitäre Alternativschulen zu schaffen, in die dann Kinder gehen, deren Eltern ohnehin schon mehr in dem Thema drin und zudem meist auch eben wohlhabend sind. Chancengleichheit gibt es momentan nur auf dem Papier und das gilt ja für sehr viele Bereiche, leider. Danke für deine lieben Worte und deine Anregungen! Liebe Grüße Natalie